Verfolgungsgründe
Die nationalsozialistische Rassenideologie teilte Menschengruppen in „Rassen“ ein und schrieb ihnen ein biologisch charakteristisches Erbgut zu, welches sich in typischen, negativen Verhaltensweisen und im Lebenswandel äußern sollte. Hiermit wurden Jüdinnen und Juden als die wichtigste feindliche „Rasse“ und gleichzeitig als Bedrohung der selbsternannten „arischen Herrenrasse“ definiert.
Die Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle. Alleine die familiäre Herkunft war ausschlaggebend. So galten auch zum Christentum konvertierte oder säkulare Juden und Jüdinnen als Feinde. Nur in sogenannten Mischehen mit „Ariern“ Verheiratete waren zunächst vor Deportation geschützt. Doch sie und ihre Ehepartner*innen wurden als Personen herabgewürdigt, in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt und durch allerlei Vorschriften in ihrer Lebensführung fremdbestimmt.
Die nationalsozialistische Propaganda diffamierte die Menschen, indem negative Stereotype über sie verbreitet und gesellschaftlicher Hass gegen sie geschürt wurden. Prinzipiell sah der Plan die Verfolgung und Auslöschung dieser Gruppen vor. Dies geschah mit Hilfe einer modernen bürokratischen Maschinerie, mit gezielter Verhaftung, geballter Deportation und Inhaftierung in Ghettos, Arbeits- und Konzentrationslagern, an deren Ende die Ermordung in Vernichtungslagern stand.
Die Situation der Jüdinnen und Juden in Deutschland änderte sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Jahr 1933 schrittweise. Ihr bisher selbstbestimmtes Leben unterlag von nun an immer mehr der staatlichen Kontrolle. Die sogenannten Judengesetze begrenzten die Rechte der jüdischen Mitbürger*innen auf Ausbildung, Familiengründung, Wohnen und Berufsausübung, während die Boykottpropaganda den Hass schürte und einen vorläufigen Höhepunkt bei den Pogromen um den 9. November 1938 erreichte.
Die Schicksale der jüdischen Mitbürger*innen aus Fürstenwalde spiegeln genau die Situation im „Dritten Reich“ wider. Einige Familien entschlossen sich nach 1933, Deutschland zu verlassen. Nur wenigen gelang es, ihren Besitz rechtzeitig zu veräußern und der „Arisierung“ und Enteignung vorzubeugen. Fluchtziele waren sowohl vermeintlich sichere europäische Staaten als auch Neuseeland, Australien, die USA und Brasilien sowie Shanghai – der einzige Ort, der ohne Visum zu erreichen war.
Die Zurückbleibenden wurden durch die Berufsverbote und die Novemberpogrome 1938 zunächst ihrer Existenzgrundlage beraubt. Noch im gleichen Jahr wurden Jüdinnen und Juden zum Auszug aus ihren selbstgewählten Häusern und Wohnungen angewiesen und gezwungen, in sogenannte Judenhäuser – heute als „Ghettohäuser“ bezeichnet – umzuziehen. Dabei handelte es sich um Häuser aus ehemaligem jüdischen Besitz, in denen ausschließlich jüdische Mieter*innen wohnen durften. Die Ghettoisierung hatte die systematische Konzentration und Abschottung der Jüdinnen und Juden zum Ziel. Seit 1942 mussten die Gebäude mit einem Judenstern gekennzeichnet werden. In Fürstenwalde galten beispielsweise das Haus der Familie Groß in der Frankfurter Straße 18 und das Haus der Familie Kiwi in der Wriezenerstraße 12 als „Ghettohäuser“.
Im Oktober 1941 begann die systematische Deportation der Jüdinnen und Juden nach Osten. Die drohende Gefahr trieb viele der Menschen in den Suizid. Mit der Wannseekonferenz 1942 wurden der Holocaust und die systematischen Vernichtung von mehr als sechs Millionen Menschen endgültig besiegelt.
Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime als Verfolgungsgrund
Seit der Machtübernahme im Jahr 1933 strebte die nationalsozialistische Regierung danach, die politische Opposition, Systemkritiker*innen und Andersdenkende zu unterdrücken und auszuschalten. Durch gezielte Propaganda und Verhaftungswellen schwächte die Reichsregierung politische Gegner*innen stetig. Die Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) waren Repressalien ausgesetzt, sie wurden verfolgt, in „Schutzhaft“ genommen oder ermordet, wie auch die Fürstenwalder Albert Genz und Richard Soland, an deren Opfer heute Stolpersteine erinnern.
Eine Zäsur für den sozialdemokratischen Widerstand war die Zerschlagung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 und die Verhaftung der höheren Funktionäre sowie die anschließende Eingliederung der Organisationen in die Deutsche Arbeitsfront. Das am 22. Juni 1933 folgende Verbot der SPD bedeutete das Ende des demokratischen Rechtssystems in Deutschland.
Gleichzeitig mit dem Beginn des Terrors leisteten Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und politischer Ansichten passiven oder aktiven Widerstand gegen das NS-Regime. Als Held*innen des Alltags nahmen sie rassisch und politisch Verfolgte auf und gewährten ihnen Unterschlupf. Andere, wie der Fürstenwalder Richard Weißensteiner, der ein Mitglied der Widerstandgruppe „Rote Kapelle“ war, beteiligten sich an Aktionen und übten Kritik am Regime. Sie alle setzten ihr Leben aufs Spiel.
Verfolgung von Menschen mit Behinderungen und psychischen Kranken
Die nationalsozialistische Ideologie wertete Menschen mit Behinderungen oder auch Kranke als minderwertig oder lebensunwert ab. Das deutsche Volk sollte nicht nur „rassisch rein“, sondern auch frei von erbbiologischen Krankheiten werden. Noch 1933, kurz nach der Machtübernahme, erließ die Regierung das Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“, welches die Zwangssterilisation sogenannter Erbkranker erlaubte. Danach folgten mehrere Mordaktionen an Säuglingen, Kindern und Erwachsenen, euphemistisch als Euthanasie – griechisch für „der schöne Tod“ – benannt.
In den Kriegsjahren 1940 und 1941 organisierten die Nationalsozialisten eine zentralisierte Tötungsaktion an psychisch Kranken und Menschen mit Behinderungen. Die Bezeichnung „Aktion T4“ wurde in der Nachkriegszeit von der Adresse der Bürozentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin-Mitte abgeleitet. Von dort aus koordinierte man die Aktion und die sechs Tötungsanstalten mit dem Ziel der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Am 24. August 1941 wurde die Aktion offiziell beendet, doch in der Praxis dezentral weitergeführt. Mitarbeiter*innen der Justiz, der Polizei, der Verwaltung und nicht zuletzt Pfleger*innen und Ärzt*innen waren an der Ermordung von insgesamt 200.000 Menschen beteiligt.
Als Tötungsanstalten fungierten Häuser in Gomadingen (Schloss Grafeneck, Baden-Württemberg), Brandenburg an der Havel (Altes Zuchthaus, Brandenburg), Alkoven (Schloss Hartheim, Oberösterreich), Pirna-Sonnenstein (Sachsen), Bernburg an der Saale (Sachsen-Anhalt) und Hadamar bei Limburg (Hessen). Unzählige Pflege- und Heilanstalten dienten als sogenannte Zwischenanstalten dazu, den Weg der Opfer in die Gaskammern zu verschleiern und die Logistik reibungslos zu organisieren. Zu diesem System gehörten auch die Samariteranstalten Fürstenwalde/Spree in Ketschendorf, dem heutigen Fürstenwalde-Süd.
Text: Justyna Gralak