Jüdisches Fürstenwalde
Die ersten urkundlichen Erwähnungen von jüdischen Bewohner*innen in den Gebieten östlich der Elbe datieren ins 13. Jahrhundert und fallen somit in die späte Phase des hochmittelalterlichen Landesausbaus und der askanischen Herrschaft in der Mark Brandenburg. Denkbar, jedoch nicht bewiesen, ist der Zuzug von Juden aus dem Rheinland nach den religiösen Verfolgungen während des ersten Kreuzzugs bereits 1096. Aus dem Jahr 1379 stammt die erste schriftliche Erwähnung eines Juden namens David, der in Fürstenwalde zum Tode auf einem Scheiterhaufen verurteilt wurde.
Das jüdische Leben in den märkischen Städten war durch landesherrliche Gesetze und „Judenordnungen“ bestimmt und von den Interessen des Königs, des Kurfürsten, des Stadtrates und der Zünfte abhängig. In den von Christen dominierten städtischen Gemeinden standen die Jüdinnen und Juden oft Ablehnung, Ausgrenzung und nicht zuletzt Verfolgung und Gewalt gegenüber.
1571 wurden alle ansässigen Jüdinnen und Juden aus der Mark Brandenburg vertrieben. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erlaubten die Landesherren die erneute Ansiedlung von jüdischen Familien und stellten für diese Schutzbriefe aus. Nach Fürstenwalde kamen Jüdinnen und Juden erst etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts zurück. Der Stadtrat versprach sich hiervon die Belebung der schlechten wirtschaftlichen Lage der Stadt und stellte die vier zugezogenen Familien unter Schutz. Aus dem Jahr 1746 stammt der älteste Grabstein vom alten Jüdischen Friedhof, der sich am „Neuen Tor“ außerhalb der Stadtmauer befand. Der neue Friedhof in der Frankfurter Straße, Ecke Grünstraße entstand 1829.
Die Jüdische Gemeinde in Fürstenwalde
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wohnten etwa 50 Jüdinnen und Juden in der Stadt. Zunächst gehörten sie der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt (Oder) an, eine autonome Gemeinde bestand seit 1879. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Fürstenwalde etwa 100 Menschen jüdischen Glaubens. Das religiöse Leben konzentrierte sich um die Synagoge in der Frankfurter Straße. Der Kaufmann Julius Meseritzer hatte 1870 dafür ein Wohnhaus umbauen lassen. Die Gemeinde leistete sich einen Kantor und gleichzeitig Schächter, jedoch keinen Rabbiner.
Im Jahr 1873 gründete der jüdische Pädagoge Markus Reich in der Neuendorfer Straße 5 in Fürstenwalde eine Ausbildungsstätte für gehörlose jüdische Kinder, die „Israelitische Taubstummenanstalt“ (ITA). Diese Einrichtung war die einzige dieser Art im gesamten Deutschen Reich, die Schulpflicht für taubstumme und blinde Kinder wurde erst 1911 eingeführt. Die durch einen Verein getragene Anstalt ermöglichte den Kindern und Jugendlichen eine Grundausbildung, aber auch eine Berufsausbildung und Existenzgründung. Der Bedarf an Ausbildungsplätzen war so hoch, dass die ITA bereits 1888 in ein größeres Gebäude mit einem großzügigeren Grundstück nach Berlin-Weißensee umziehen musste.
Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in Fürstenwalde inmitten der Stadtgemeinde ca. 150 bis 160 jüdische Bürger*innen. Sie arbeiteten als Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Anwält*innen, Fotograf*innen, saßen im Stadtrat, wie der langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Hermann Casper, führten Branchengeschäfte und Kaufhäuser. Auf und um den Marktplatz konnte man in den Kaufhäusern der Familien Marcuse, Fürst, Brandt, Gottfeld oder Flatauer – mit dem ersten Fahrstuhl in der Stadt – einkaufen. In den Fürstenwalder Einkaufsstraßen gab es 32 weitere jüdische Geschäfte. Die am Spreeufer gelegene Maschinenfabrik und Eisengießerei Henry Hall gehörte der jüdischen Familie Behrendt. Höchstwahrscheinlich wurden jüdische Arbeiter*innen in den „Gebrüder Pintsch Werken“ beschäftigt. Der Chemiker und Erfinder Dr. Hans Klopstock arbeitete in der Filiale der „Deutsche Kabelwerke AG“ in Ketschendorf (heute Fürstenwalde Süd), gegründet von der Berliner jüdischen Unternehmerfamilie Hirschmann.
Die jüdische Gemeinde erweiterte 1928 den Friedhof und weihte feierlich und unter öffentlicher Anteilnahme die Trauerhalle ein. Es gibt unbestätigte Hinweise auf die Existenz einer Mikwa – eines Ritualbades – in der Frankfurter Straße. Zur Fürstenwalder Synagoge gehörten außer der städtischen Gemeinde weitere acht Gemeinden aus Alt-Madlitz, Beeskow, Berkenbrück, Briesen, Demnitz, Hangelsberg, Neuendorf im Sande und Bad Saarow.
In Neuendorf im Sande existierte zudem seit 1932 ein landwirtschaftliches und handwerkliches Ausbildungslager, in dem sich jüdische Jugendliche und junge Erwachsene auf die Auswanderung vorwiegend nach Palästina vorbereiteten. In dem Hachschara-Lager lebten bis 1941 etwa 200 junge Menschen.
Hass und Vernichtung
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 änderte sich die Situation durch den zunehmenden Hass und die Demütigungen gravierend. Viele Familien verließen die Stadt. Während der Pogrome um den 9. November 1938 zerschlugen und plünderten die Faschisten mutwillig die meisten Geschäfte, setzten die Synagoge in Brand und schändeten und zerstörten den Friedhof mit der Trauerhalle. Zahlreiche männliche Juden kamen in „Schutzhaft“, die meisten in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Kurz vor dem Kriegsausbruch 1939 wohnten noch lediglich 26 Jüdinnen und Juden in Fürstenwalde. 1941 wurden die letzten jüdischen Stadtbewohner*innen, die nicht durch eine sogenannte „Mischehe“ geschützt waren, in den Tod deportiert.
Das Landwerk Neuendorf wandelten die Nationalsozialisten 1941 in ein Zwangsarbeitslager um, in dem Jugendliche aus unterschiedlichen deutschen Hachschara-Lagern inhaftiert waren. Die bekanntesten hier inhaftierten Zwangsarbeiter*innen, die in Fürstenwalde in einem Blumengeschäft oder auf dem Friedhof arbeiteten, waren die Musikerin Esther Bejarano und der Quizmaster Hans Rosenthal. Bis 1943 wurden alle Häftlinge in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet.
Nach 1945 entstand keine neue jüdische Gemeinde in Fürstenwalde. Das Landgut in Neuendorf im Sande wird heute von dem Projekt ZuSaNe e.V. betrieben, das sich mit der Gedenkstättenarbeit dafür einsetzt, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.
Text: Justyna Gralak